Geschichte des Zivildienstes

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Der Weg zum Zivildienstgesetz 1975

Mit der Unabhängigkeit Österreichs nach dem Staatsvertrag von 1955 wurde die allgemeine Wehrpflicht als Basis der militärischen Landesverteidigung eingeführt. Die Möglichkeit, einen Wehrersatzdienst zu leisten, gab es damals noch nicht. Wer aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe ablehnte, konnte – wenn dem Antrag stattgegeben wurde – innerhalb des Bundesheeres einen „Dienst ohne Waffe“ leisten. Dieser dauerte damals 12 Monate und damit um 3 Monate länger als der Präsenzdienst. Zwischen 1956 und 1974 wurden 3.266 von 3.277 Anträge auf „Dienst ohne Waffe“ genehmigt, das waren 0,45 Prozent der Wehrpflichtigen.

Ab Mitte der 1960er-Jahre wurde die Wehrdienstverweigerung in Österreich – insbesondere in den Jugendorganisationen – verstärkt diskutiert. Auch auf europäischer Ebene wurde die Möglichkeit, aus Gewissensgründen eine Befreiung von der Wehrpflicht vorzusehen, erörtert. Im Jahr 1967 befürwortete die Beratende Versammlung des Europarates die Einführung eines Rechtes auf Waffendienstverweigerung aus Gewissensgründen und setzte damit ein wichtiges Signal für die Schaffung eines Wehrersatzdienstes in den Mitgliedstaaten.

In Österreich thematisierte die Regierungserklärung von 1971 einen Wehrersatzdienst außerhalb des Bundesheeres, im Jahr darauf wurde eine Regierungsvorlage zum Zivildienstgesetz eingebracht. Am 6. März 1974 wurde das Zivildienstgesetz beschlossen, mit 1. Jänner 1975 trat dieses in Kraft trat. Die Vollziehung eines Großteils der zivildienstrechtlichen Bestimmungen wurde dem Bundesministerium für Inneres zugeordnet.

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Zivildienstgesetzes führten 1974 als Gründe für die Schaffung des Zivildienstes aus, dass die Gewissensfreiheit zu respektieren sei, ein internationaler Trend zur Einrichtung eines Wehrersatzdienstes bestehe und die „Waffendienstverweigerer innerhalb des Bundesheeres eine Minderheit darstellten, die von der überwiegenden Mehrheit als Außenseiter betrachtet würden und vom Standpunkt des Bundesheeres einen Fremdkörper darstellten.“ (Zitat aus Wenda, Gregor: „Lange Erfolgsgeschichte“, Magazin „Öffentliche Sicherheit“, Ausgabe 3-4/2020)

Der Zivildienst sollte keinen Fluchtweg für Personen darstellen, die sich den Belastungen des Präsenzdienstes entziehen wollten. Vielmehr sollte der Zivildienst hinsichtlich seiner Bedeutung für die Republik Österreich, seiner Belastungen und der Besoldung des Zivildienstpflichtigen dem Wehrdienst möglichst entsprechen. Zudem sollte die Einsatzfähigkeit des Bundesheeres nicht geschmälert werden – diesem sollte stets eine ausreichende Anzahl junger Männer zur Verfügung stehen. Der Zivildienst wurde daher nicht als Alternative zum Wehrdienst konzipiert, sondern als außerhalb des Bundesheeres zu leistender Wehrersatzdienst.

Die Zivildienstleistenden sollten nicht in einer eigenen staatlichen Formation (einer Zivildiensttruppe) zusammengezogen werden, sondern bei bestehenden gemeinnützigen privaten oder öffentlich-rechtlichen Institutionen tätig sein.

Gewissenprüfung durch die Zivildienstkommission bis Ende 1991

Jeder männliche österreichische Staatsbürger wird ab dem 17. Geburtstag vom Militärkommando schriftlich zur Stellung aufgefordert. Bei der Stellung wird die Eignung zum Wehrdienst ermittelt. Die Tauglichkeit ist eine Voraussetzung für die Leistung des Präsenzdienstes - und damit auch für den Zivildienst.

Das Recht, statt des Wehrdienstes den Zivildienst zu leisten, hat, wer es aus Gewissensgründen ablehnt, Waffengewalt gegen Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in Gewissensnot geraten würde. Die Glaubhaftigkeit der Gewissensgründe wurde bis zum Jahr 1991 von einer Kommission geprüft, die beim Bundesministerium für Inneres eingerichtet war. Seit 1992 genügt eine Zivildiensterklärung, die bestimmte formelle Anforderungen erfüllen muss.

Verlängerung und Verkürzung der Zivildienst-Dauer

Nach Abschaffung der „Gewissensprüfung“ wurde die Dauer des ordentlichen Zivildienstes mit 1. Juni 1992 auf 10 Monate, 1994 auf 11 Monate und 1997 auf 12 Monate (mit 2 Wochen Urlaubsanspruch) verlängert. Mit der Zivildienstgesetz-Novelle 2005 (die mit 1. Jänner 2006 in Kraft trat) wurde der Zivildienst auf 9 Monate verkürzt.

Eine Zuweisung zum ordentlichen Zivildienst ist bis zum 35. Geburtstag möglich. Die Pflicht, einen außerordentlichen Zivildienst zu leisten, erlischt mit Vollendung des 50. Lebensjahres.

Erweiterung der Einsatzgebiete für Zivildienstleistende

Der Zivildienst kann nur auf dem Gebiet der Republik Österreich geleistet werden. Beim Zivildienst sollen Leistungen erbracht werden, die für die Gemeinschaft notwendig und nützlich sind. Die Schwerpunkte liegen im Rettungswesen, in der Sozial- und Behindertenhilfe und in der Katastrophenhilfe. Weitere Dienstleistungsbereiche sind Krankenanstalten, Altenbetreuung, Flüchtlingsbetreuung, Kinderbetreuung, Jugendarbeit, Sicherheit im Straßenverkehr, inländische Gedenkstätten oder der Umweltschutz. Einige dieser Dienstleistungsbereiche sind von Anfang an dabei, andere sind im Laufe der Jahre hinzugekommen. Die Einsatzorte verteilen sich über Österreich.

Steigendes Interesse am Zivildienst

Im Jahr 1975 nahmen 344 junge Männer die Gelegenheit wahr, einen Zivildienst zu leisten. Zwischen 1980 und 1990 entschieden sich jährlich etwa 3.000 Personen für den Zivildienst. Nach dem Wegfall der kommissionellen „Gewissensprüfung“ erfolgte 1992 ein sprunghafter Anstieg auf rund 8.200 Zivildienstpflichtige und 1993 auf 13.900 Zivildienstpflichtige. Das entsprach etwa 22 Prozent (1992) bzw. 38 Prozent (1993) der tauglichen Wehrpflichtigen.

In den letzten Jahren entschieden sich rund 45 Prozent der tauglichen Wehrpflichtigen dazu, Zivildienst zu leisten, rund 14.000 Zivildienstleistende wurden jährlich den Zivildienst-Einrichtungen zugewiesen.

Attraktivierung des Zivildienstes

Der Zivildienst wurde seit seinem Bestehen mehrmals reformiert, attraktiver gemacht und an die gesellschaftlichen Veränderungen angepasst.

1986 wurde das Zivildienstgesetz 1974 als Zivildienstgesetz 1986 (ZDG) wiederverlautbart. Die Novellen der 1990er Jahre berücksichtigten unter anderem vom Verfassungsgerichtshof entwickelte Grundsätze, brachten Änderungen beim Auslandsdienst und bei der Vergütung, sowie legistische und administrative Klarstellungen und Anpassungen an wehrrechtliche Neuerungen. 1991 wurde ein „Waffenverbot“ für Zivildienstpflichtige eingeführt.

Reformen ab den 2000er-Jahren umfassten beispielsweise die Verkürzung der Dauer des Zivildienstes auf 9 Monate (mit 1. Jänner 2006), die Verbesserung der Beschwerdemöglichkeiten durch die Schaffung einer Schlichtungsstelle in den Bundesländern, die Neugestaltung des Zivildienstbeschwerderates, die Erhöhung der Pauschalvergütung, Regelung der Verpflegung, die Ausstellung einer Kompetenzbilanz und zusätzliche Sonderdienstfreistellungstage.

Warum kein Zivildienst für Frauen?

In Österreich können Frauen keinen Zivildienst leisten, weil es für sie keine Wehrpflicht gibt. Die Wehrpflicht besteht für alle männlichen österreichischen Staatsbürger vom 17. bis zum 50. Lebensjahr, für Offiziere, Unteroffiziere oder Spezialkräfte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres.

Die Zivildienstverwaltungs Ges.m.b.H. von 2002-2005

Die Zivildienstgesetz-Novelle 2001 ermöglichte dem Bundesminister für Inneres, ein privates Unternehmen mit Teilen der Zivildienstverwaltung zu beauftragen. In der Folge wurde die Zivildienstverwaltungs Ges.m.b.H. mit der Durchführung von Zivildienst-Agenden beauftragt. Diese nahm am 1. April 2002 ihre Arbeit auf. Jene Zivildienst-Agenden, bei denen in Grundrechte eingegriffen wurde, verblieben jedoch weiterhin im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Inneres.

Die Zivildienstserviceagentur seit 2005

Aufgrund einer Beschwerde eines Zivildienstpflichtigen prüfte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Verfassungskonformität der Zivildienstgesetz-Novelle 2001. In seiner Entscheidung vom 15. Oktober 2004 (G 36/2004) beurteilte der Verfassungsgerichtshof die Auslagerung hoheitlicher Tätigkeiten als verfassungswidrig - die entsprechenden Bestimmungen wurden mit Ablauf des 31. Dezember 2005 aufgehoben.

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes seien die militärische Landesverteidigung und der Zivildienst eng miteinander verknüpft, da es sich in beiden Fällen um die Ableistung eines staatlichen Dienstes handle und die Verpflichtung zur Leistung des Wehrersatzdienstes auf der Wehrpflicht beruhe.

Durch die vertragliche Betrauung eines privaten Unternehmens mit Aufgaben der Zivildienstverwaltung werde in die verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte des Einzelnen erheblich eingegriffen. Außerdem handle es sich beim Zivildienst, so der Verfassungsgerichtshof, um einen Kernbereich der staatlichen Verwaltung, der einer Ausgliederung nicht zugänglich sei. Die Konsequenz dieser Entscheidung war, dass die Zivildienst-Agenden wieder von einer staatlichen Behörde wahrgenommen werden mussten.

In der Folge wurde mit 1. Oktober 2005 die Zivildienstserviceagentur (ZISA) als untergeordnete Behörde des Bundesministeriums für Inneres errichtet. Alle erstinstanzlichen Agenden des Zivildienstes wurden in dieser Behörde gebündelt, wodurch Aufgaben auch rascher und effizienter umgesetzt werden können. Bis heute ist die Zivildienstserviceagentur mit Sitz in Wien für den Vollzug des Zivildienstgesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen zuständig.

Landeshauptleute und Bezirksverwaltungsbehörden

Im Bereich Zivildienst sind die Landeshauptleute (Ämter der Landesregierungen) für die Anerkennung der Zivildienst-Einrichtungen und aller damit verbundenen Änderungen zuständig. Weitere Aufgaben sind die behördliche Überwachung der Pflichten der Rechtsträger und Zivildienst-Einrichtungen sowie (im Anlassfall) die Errichtung einer Schlichtungsstelle zur einvernehmlichen Lösung von Beschwerdefällen in Zivildienst-Angelegenheiten.

Die Bezirksverwaltungsbehörden (Magistratische Bezirksämter und Bezirkshauptmannschaften) unterstützen die Ämter der Landesregierungen bei der Kontrolle der Zivildienst-Einrichtungen und führen Verwaltungsstrafverfahren bei Anzeigen nach dem Zivildienstgesetz durch. Außerdem sind sie für die Überprüfung von Krankenständen und der Diensttauglichkeit der Zivildienstpflichtigen zuständig (Amtsarztuntersuchungen).

Volksbefragung am 20. Jänner 2013

Am 20. Jänner 2013 wurden die Stimmberechtigten bei der ersten bundesweiten Volksbefragung in Österreich gefragt, ob sie für „die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres“ oder für „die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes“ seien. 59,7 Prozent stimmten für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes. 40,3 Prozent sprachen sich für ein Berufsheer und ein bezahltes freiwilliges Sozialjahr aus. Laut Meinungsforschungsinstituten war das Interesse der Österreicherinnen und Österreicher an der Aufrechterhaltung des Zivildienstes ein maßgebliches Motiv für das Ergebnis der Volksbefragung.

Jänner 2020: Übertragung der Zivildienst-Agenden an das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus

Durch die Änderung der Ressortzuständigkeiten im Zuge der Regierungsbildung 2020 wurden die Zivildienst-Agenden – und damit auch die Zivildienstserviceagentur – mit 29. Jänner 2020 dem Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT) zugeordnet.

März 2020: Außerordentlicher Zivildienst

Erstmals in der Geschichte des Zivildienstes wurde im Frühjahr 2020 aufgrund der COVID-Ausnahmesituation der außerordentliche Zivildienst ausgerufen. Innerhalb von 2 Wochen konnten mehr als 2.000 Freiwillige, die sich noch einmal für den Zivildienst gemeldet hatten, den Einrichtungen zugewiesen werden. Weiters wurde der Dienst von rund 1.500 Zivildienstleistenden verlängert. Zusätzliche 1.000 Freiwillige traten im Mai 2020 ihren Dienst an. Insgesamt haben damit zwischen April und Juli 2020 rund 4.500 außerordentliche Zivildienstleistende während der COVID-Ausnahmesituation den Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich unterstützt.

Jahr 2021: Teiltauglichkeit eingeführt

Als Ergebnis der aktuell vorliegenden geburtenschwachen Jahrgänge ist die Zahl der tauglichen Männer in den letzten Jahren stark gesunken – von rund 39.500 im Jahr 2010 auf etwa 29.800 im Jahr 2019, das ist ein Minus von 25 Prozent. Zwischen 2010 und 2020 gab es einen Rückgang um rund 40 Prozent (auf rund 23.500 im Jahr 2020), allerdings waren Stellungen aufgrund der Corona-Entwicklungen im Jahr 2020 teilweise ausgesetzt.

Als wichtige Maßnahme der Bundesregierung, um den geburtenschwachen Jahrgängen entgegenzuwirken, wurde im Jahr 2021 die Teiltauglichkeit eingeführt. Dadurch können junge Männer mit leichten körperlichen Einschränkungen auch den Grundwehr- bzw. Zivildienst leisten. Die teiltauglichen Zivildiener werden Einrichtungen zugewiesen, bei denen sie Tätigkeiten mit geringer körperlicher Belastung ausüben, wie etwa administrative Tätigkeiten, Botendienste, oder Tätigkeiten rund um die Freizeitgestaltung der Klientinnen und Klienten.

Im Jahr 2021 wurden rund 200 teiltaugliche Männer zivildienstpflichtig.

Juli 2022: Übertragung der Zivildienst-Agenden an das Bundeskanzleramt

Seit 18. Juli 2022 sind die Angelegenheiten des Zivildienstes – und damit auch die Zivildienstserviceagentur - dem Bundeskanzleramt unterstellt (siehe auch Bundesministeriengesetz-Novelle BGBl. I Nr. 98/2022).

Wehrpflicht und Wehrersatzdienst in anderen Ländern

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verankerten mehrere europäische Länder eine „Wehrdienstverweigerung“ – etwa die Niederlande und Schweden 1920, Norwegen 1921, Finnland 1931, Belgien 1964 und Deutschland 1965. Allerdings wurden der Wehrdienst und damit der Wehrersatzdienst in einigen Ländern in der Zwischenzeit wieder abgeschafft oder ausgesetzt. In Belgien wurde der Wehrdienst im Jahr 1995 abgeschafft. In den Niederlanden wurde die Wehrpflicht mit 1. Mai 1997 und in Deutschland mit 1. Juli 2011 ausgesetzt – das bedeutet, die Wehrpflicht besteht zwar weiterhin, in Friedenszeiten werden aber keine Wehrpflichtigen mehr eingezogen.

Mit Stand Jänner 2022 halten Österreich, Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Litauen, Norwegen, Schweden, die Schweiz und Zypern an der Wehrpflicht ihrer Staatsbürger fest. (In Schweden und Norwegen besteht die Wehrpflicht für männliche und weibliche Staatsbürger.) In den meisten dieser Länder gibt es eine Art des Wehrersatzdienstes für diejenigen, die aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe verweigern. Weitere Länder mit einer Wehrpflicht sind bspw. die Ukraine, Türkei und Russland. (Stand: Jänner 2022)

Literatur