7. Die Zweite Republik: ein Neuanfang

Schwarz-weiß-Foto zur Illustration. Ein amerikanischer Raupenschlepper führt vom Lobkowitzplatz Schutt ab, Oktober 1946
Ein amerikanischer Raupenschlepper führt vom Lobkowitzplatz Schutt ab, Oktober 1946

Die Nachkriegszeit

Die Sieger des Zweiten Weltkrieges waren die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion. Diese hatten schon während des Krieges beschlossen und erklärt, dass Österreich wieder ein selbstständiger Staat werden sollte (Moskauer Deklaration).

Österreich erlebte im Jahr 1945 eine dreifache Befreiung: Als erstes die Befreiung durch die alliierten Truppen, die die nationalsozialistische totalitäre Diktatur niederrangen. Die Österreicher haben auch ihren Teil beigetragen, nämlich in den Wahlen vom November 1945, als sie sich eindeutig für eine freie Demokratie entschieden und der von der Sowjetunion unterstützten KPÖ eine verheerende Niederlage bescherten. Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), die Sozialistische Partei Österreichs (heute: Sozialdemokratische Partei Österreichs = SPÖ) und die kleine Kommunistische Partei (KPÖ) bildeten vorerst eine gemeinsame Regierung.

Werbeplakat zum ERP Marshallplan zur Illustration
Nachkriegszeit, ERP Marshallplan, USA Beitrag zum Wiederaufbau Österreichs 1949

Die dritte Befreiung erfolgte durch die internationale Hilfe, die Österreich nach 1945 ganz anders als nach 1918 in großem Maße gewährt wurde. Österreich hat in den ersten zehn Nachkriegsjahren Auslandshilfe in der Höhe von 1.585 Millionen Dollar (= 41 Milliarden Schilling auf Wertbasis 1955) erhalten.

Vor allem die USA leisteten einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes. Als Hilfe stellten die USA den Ländern Europas im „Europäischen Wiederaufbau-Programm“ viele Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Diese Hilfe wurde „Marshall-Plan“ genannt. Auch Österreich erhielt für den Wiederaufbau des Landes Geld aus dem Marshall-Plan. Die Mittel des Marshall-Plans waren im österreichischen Fall ein Geschenk. Österreich musste diese Mittel nicht zurückzahlen.

Schwarz-weiß-Bild zur Illustration. Das Bild zeigt einen Jeep und 4 Soldaten in unterschiedlichen Uniformen.
Die Vier im Jeep

Parlament und Regierung konnten allerdings lange noch nicht völlig frei entscheiden. Die Sieger des Zweiten Weltkrieges behielten bis 1955 die letzte Entscheidungsgewalt. Österreich war zwischen 1945 und 1955 von den Siegern in vier Besatzungszonen geteilt. Auch die Bundeshauptstadt Wien war in vier Zonen geteilt. Jeder Sieger verwaltete eine dieser Zonen, die Innenstadt (1. Bezirk) wurde gemeinsam verwaltet. Die Besatzungszeit dauerte bis 1955. Erst nach 10-jährigen Verhandlungen gelang es, mit den Siegern des Zweiten Weltkrieges einen Friedensvertrag zu schließen. Dieser Friedensvertrag mit Österreich heißt „Staatsvertrag“. Er gab Österreich wieder die volle Unabhängigkeit. Bei den Verhandlungen mit den Siegern spielten der damalige österreichische Bundeskanzler Julius Raab und der Außenminister Leopold Figl eine wichtige Rolle.

Die Bedingungen des Staatsvertrages von 1955 enthielten mehrere Verpflichtungen für Österreich. Die wichtigsten sind:

Schwarz-weiß-Bild zur Illustration. Das Bild zeigt zwei Seiten des Staatsvertrages von 1955 mit Unterschriften und Sigeln.
Der Staatsvertrag von 1955
  • Kein „Anschluss" an Deutschland,
  • Schutz der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Österreich.
  • Vorbedingung, aber nicht Bestandteil des Staatsvertrags war die Erklärung der immerwährenden Neutralität des Landes.

Am 26. Oktober 1955 beschloss das österreichische Parlament die immerwährende Neutralität des Landes. Heute ist der 26. Oktober in Österreich Nationalfeiertag.

Was unterscheidet die Zweite Republik von der Ersten Republik?

Schwarz-weiß-Foto zur Illustration. Das Foto zeigt Leopold Figl und mehrere Männer in Anzügen auf dem Balkon des Schlosses Belvedere. Leopold Figl hält ein geöffnetes Buch (den Staatsvertrag) in seinen Händen.
Leopold Figl zeigt den Staatsvertrag von 1955 auf dem Balkon des Schlosses Belvedere

Aus dem Scheitern der „Ersten Republik“ haben die Politiker jener Zeit gelernt. Die „Zweite Republik“ wurde nach 1945 besser aufgebaut als die „Erste Republik“. An die Stelle des politischen Konflikts trat mehr Zusammenarbeit. Aus einer Konfliktdemokratie wurde eine Konsensdemokratie. Die politischen Parteien sahen sich nicht mehr als Feinde. Stattdessen regierten die Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Sozialistische/Sozialdemokratische Partei (SPÖ) 20 Jahre lang bis zum Jahr 1966 gemeinsam in einer großen Koalition. Und auch in den folgenden Alleinregierungen und wechselnden Koalitionen blieb der Grundkonsens fester Bestandteil.

Eine wichtige Form dieses Konsenses und der Zusammenarbeit von Arbeitgebervertretern, Arbeitnehmervertretern und Bauernvertretern ist die Sozialpartnerschaft. Sie entstand in den späten 1940er Jahren. An dieser dauernden Zusammenarbeit beteiligen sich folgende berufliche Interessenvertretungen:

Schwarz-weiß-Bild zur Illustration. Das Bild zeigt Menschen im Sitzungssaal.
Erste Sitzung des Nationalrats am 19. Dezember 1945
  • die Bundesarbeitskammer (AK)
  • die Landwirtschaftskammer Österreich (LK)
  • der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB)
  • die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ)

Dabei geht es um die Festsetzung von Löhnen (Lohnverhandlungen), um Kollektivverträge und um soziale Selbstverwaltung. In der Nachkriegszeit ging es auch um die Festsetzung von Höchstpreisen. Bis heute werden die Sozialpartner bei wirtschaftlich oder sozial bedeutsamen Vorhaben gefragt. Insbesondere bei Gesetzesvorschlägen haben ihre Stellungnahmen Bedeutung.

Die Wirtschaft wuchs, und die Währung blieb stabil. Die Sieger des Zweiten Weltkrieges – insbesondere die USA – halfen beim Wiederaufbau des Landes. Immer mehr Menschen waren nun stolz darauf, Österreicher oder Österreicherin zu sein.

Wirtschaftlich war Österreich in der „Zweiten Republik“ viel erfolgreicher als in der „Ersten Republik“. Nach dem Wiederaufbau des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg gab es mehrere Jahrzehnte mit hohem Wirtschaftswachstum. Wichtig dafür war die Großindustrie, die in den 1940er und 1950er Jahren zum Teil verstaatlicht war. Aber auch die vielen privaten Klein- und Mittelbetriebe trugen zum Wirtschaftswachstum bei.

Weil es den Menschen wirtschaftlich immer besser ging, glaubten sie immer mehr an die Zukunft Österreichs. Das trug dazu bei, dass eine österreichische Identität heute selbstverständlich ist.

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